
Fernwandern - erfüllend und nachhaltig reisen
Der Urlaub ist für die meisten das alljährliche Highlight. Egal ob Ostsee, Mallorca oder Thailand – die Tourismusbranche lockt mit immer neuen Superlativen. Größere Kreuzfahrtschiffe, weißere Strände und exotischere Ziele. Nachhaltiges Reisen fällt dabei jedoch schwer und erfüllendes Reisen noch viel schwerer.
Ein wirklich besonderes Reiseerlebnis, das sowohl geistige als auch körperliche Erholung und Erneuerung bereithält, braucht jedoch all das gar nicht – gemeint ist das Fernwandern! Denn schon Goethe wusste:
“Nur wo du zu Fuß warst, warst du wirklich.”
Beim Fernwandern bist du mehrere Tage, Wochen oder sogar Monate zu Fuß unterwegs und übernachtest fast jeden Tag in einem anderen Ort. So ist es möglich, eine Region oder auch ein ganzes Land nicht nur aus dem Autofenster im Vorbeifahren zu sehen, sondern hautnah, intensiv und jeden Tag ein oder mehrere Dutzend Kilometer weiter zu entdecken. Dabei kann man sich an festen Routen wie dem Jakobsweg orientieren, ein bestimmtes Ziel vor Augen haben, oder einfach der Nase und dem Bauchgefühl folgen.
Diese Art der Fortbewegung hat sehr viele Vorteile und zählt zu meinen liebsten Reiseerfahrungen. Dazu gehören 900 km auf dem Camino del Norte in Spanien und zwei Wochen zu Fuß im überquellenden Reichtum der Natur in Südfrankreich.
In diesem Beitrag zeige ich dir, warum Fernwandern so spannend ist, welche Arten von Wegen es gibt und wie du typische Hindernisse bewältigst.
Vorteile des Fernwanders
Allein oder zu zweit durch die Natur – alles Nötige in einem kleinen Rucksack. Es ist eigentlich fast egal, wo man wandert, wie viele Tage man unterwegs ist und wie viele Kilometer am Tag bewältigt werden. Fernwandern hat viele Vorzüge gegenüber den klassischen, organisierten Massentourismus-Angeboten:
- Bewusster Entzug vom Alltagsstress! Kein Terminkalender, kein Fernsehprogramm, wenn möglich kein Smartphone und fern von den Verpflichtungen des Alltags.
- Gelebter Minimalismus, da alle benötigten Dinge getragen werden müssen.
- Bewegung und frische Luft, kombiniert mit guter Ernährung, sind die denkbar beste Medizin für den Körper.
- Auch der Geist kommt auf seine Kosten! Kontinuierliche Bewegung, der Fokus auf die Natur, den Körper und die eigenen Gedanken wirken oft so wie eine stundenlange Meditation.
- Viele Wanderwege führen durch wunderschöne Landschaften, vorbei an zahlreichen Sehenswürdigkeiten.
- Aber auch das Unspektakuläre zählt, denn abseits der oft gewählten Pfade lernst du Land und Leute erst richtig kennen.
- Lange Wanderwege ziehen interessante Menschen aus allen Teilen der Welt an und du weißt morgens nicht, welche spannenden Geschichten du hören wirst.
- Bewusstes Wandern kommt auch der Natur zu Gute. Du verbrauchst keinen Treibstoff und wenn du dich regional ernährst, geht dein Ölverbrauch fast gegen Null.
Der Jakobsweg und seine Alternativen
Wahrscheinlich hast du schon oft vom Jakobsweg in Spanien gehört. Spätestens seit Hape Kerkeling seine Reise beschrieben hat, zieht es immer mehr Menschen auf den Weg von Saint-Jean-Pied-de-Port nach Santiago. Dieser Weg hat auch viele Vorzüge und ich habe noch nie jemanden getroffen, der den klassischen Camino bereut hat.
Dennoch gibt es viele Alternativen, und je nachdem was du suchst, ist ein andere Weg vielleicht besser geeignet.
Der Klassiker – El Camino Francés
Der Französische Jakobsweg ist die beliebteste Route, er beginnt kurz vor der französisch-spanischen Grenze in den Pyrenäen und führt über knapp 800 Kilometer an das klassische Pilgerziel, Santiago de Compostela, wo angeblich der katholische Heilige Jakobos der Ältere begraben ist.
Die Strecke besticht durch die hohe Zahl von Mitwanderern und der sehr guten Infrastruktur. Dank zahlloser Herbergen, Cafés, Restaurants und Geschäfte entlang des Weges kannst du dein Gepäck auf ein Minimum reduzieren. Die Tagesetappen können sehr individuell gestaltet werden, von drei oder vier Kilometern bis zu 30 und mehr. Der Weg ist sehr international, aber viele Wanderer kommen aus Deutschland. So ist es durchaus möglich, 800 Kilometer quer durch Spanien zu wandern, ganz ohne Sprachkenntnisse in Spanisch oder Englisch.
Entlang der Route befinden sich auch einige größere Städte mit Flug- und Bahnhöfen, wie Pamplona, Burgos und León. So ist es ein Leichtes, nur bestimmte Etappen zu wandern.
Andere Jakobswege in Spanien
Alle Wege führen nach Rom und sämtliche Jakobswege führen schließlich nach Santiago. Es gibt tausende verschiedene Routen, denn die traditionelle Pilgerschaft beginnt auch vor der eigenen Haustür und nicht an einem Bahnhof an der spanischen Grenze. Allein in Spanien gibt es vier bekannte Hauptwege, die für verschiedene Gelegenheiten geeignet sind.
Ich bin vor mehreren Jahren den Camino del Norte (auch als Küstenweg bekannt) gewandert. Etwa 850 km entlang der spanischen Küste. Durch das Baskenland und Städte wie San Sebastian, Bilbao und Guernika, weiter durch Kantabrien, Asturien und Galicien. Es gibt zahlreich landschaftlich besonders schöne Abschnitte, aber auch einige Etappen entlang Bundesstraßen. Ich erinnere mich auch an ein Industriegebiet und eine heruntergekommene Hafenanlage in Bilbao.
Im Vergleich zum klassischen Jakobsweg ist die Strecke sehr viel ruhiger. Man sieht oft nur zehn bis dreißig Pilger während einer Tagestour, diese sind aber meist länger (20-30 Kilometer), da die Herbergen weiter gestreut sind. Ein paar Grundkenntnisse in Spanisch sind von Vorteil.
Neben diesen beiden Wegen gibt es noch die viel ruhigeren, aber nicht minder schönen Wege:
- Camino de la Plata von Cadiz oder Sevilla ausgehend
- Camino Portuges von Porto in Nordportugal
- Camino de Madrid von der spanischen Hauptstadt aus zirka 350 Kilometer zum Camino Francés und auf diesem weitere 350 Kilometer nach Santiago
- Die Ruta de la Lana, beginnend am Mittelmeer in Valencia oder Alicante und einmal quer durch Spanien
Die meisten dieser Wege verfügung nur über ein sehr spärliches Netz an Pilgerherbergen. Pensionen ab ca. 15 Euro sind jedoch vielerorts zu finden. Wenn dich das Abenteuer lockt und du etwas mehr tragen kannst, dann ist auch das Pilgern mit Zelt eine Option.
Andere Jakobswege
Pilgerwege, egal ob nach Santiago, Rom oder Jerusalem, begannen früher vor der eigenen Haustür. So entwickelten sich im Laufe der Zeit in ganz Europa Netzwerke an Pfaden für die gemeinsame Pilgerschaft. In Frankreich werden sie seit Generationen gepflegt, in anderen Ländern werden sie wiederentdeckt und in Fernwander-Netzwerke integriert.
Aber auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es dutzende interessante Wege, zum Beispiel von Bratislava nach Genf oder von Flensburg nach Konstanz. Viele spannende Strecken, um die Heimat einmal intensiver und zugleich ganz anders zu erleben.
Traumpfad München-Venedig
Die 550 Kilometer lange Strecke von München nach Venedig wird seit den siebziger Jahren immer beliebter und beeindruckt vor allem durch die landschaftliche Schönheit der Alpen. Man benötigt etwa 28-30 Tage für diese Strecke und sollte körperlich gut vorbereitet sein, denn die einzelnen Etappen sind lang und an manchen Tagen sind bis zu 1500 Meter Höhenunterschied zu bewältigen.
Viel mehr
Es gibt noch sehr viele andere Fernwanderwege, sei es in Norwegen, der Türkei oder entlang der amerikanischen Westküste. Egal ob du die Berge oder die Küste liebst, ob du bei 40 Grad oder bei 10 Grad wandern möchtest, für jeden Geschmack ist etwas dabei. Setze dich doch mal in eine größere Buchhandlung und stöbere in der Buchreihe “Outdoor – Der Weg ist das Ziel”!
Oft gestellte Fragen und Ausreden
Fast jeder liebt die Geschichten rund ums Fernwandern, aber es gibt viele Gründe, warum man es selber nicht tun kann. Manchmal denke ich, das sind nur Ausreden. Deswegen möchte ich hier ein paar Gegenbeispiele zeigen, von Menschen, die sich trotz (oder gerade wegen) vermeintlicher Hindernisse auf den Weg gemacht haben.
- Alleinreisende Frauen – Jedes Jahr wird der Jakobsweg von tausenden Frauen auf eigene Faust beschrittenen. Die Vielzahl der Pilger vermittelt immer ein sicheres Gefühl. Es gibt aber auch andere Beispiele von Frauen, die sich allein auf weite Wanderschaft machen, wie zum Beispiel Jessie, die von Hamburg nach Nepal wandert.
- Wandern mit Kindern – Natürlich ist das Wandern mit Tragetasche und Kinderwagen anstrengender. Es gibt aber genügend Beispiele, die zeigen wie es geht, zum Beispiel Jasmin und ihre Familie. In Frankreich ist mir auch schon eine vierköpfige Familie begegnet, die mit zwei Eseln gewandert ist. Ein Esel für Gepäck samt Zelten und ein Esel für die beiden Kinder, wenn sie des Gehens müde waren.
- Nicht genug Urlaub – Oft fällt es schwer, vier oder mehr Wochen Urlaub am Stück zu bekommen. Die Lösung ist das Wandern auf kürzeren Routen und Teilabschnitten. Von Usedom nach Rostock, von Speyer nach Metz, von Hamburg nach Osnabrück oder von Genf nach Le Puy. Wege gibt es genügend. In ein oder zwei Wochen erhältst du einen guten Vorgeschmack, wie sich das Leben auf zwei Beinen und zwei Wanderstöcken anfühlt.
- Wandermuffel – Wem das Wandern einfach nicht zusagt, der kann ja auch das Fernradwandern ausprobieren :-)
Abschließende Tipps
Dies ist kein allumfassender Ratgeber zum Thema Fernwandern, sondern soll vor allem inspirieren – der Weg ist das Ziel! Für die Wahl deines Weges und die Vorbereitung bedarf es wahrscheinlich noch einiger Überlegungen. Hier aber noch meine Top-Tipps für das Fernwandern:
- Nimm dir Zeit
- Höre auf deinen Körper
- Weniger ist mehr – packe weniger als 10 % deines Körpergewichts
- Sei offen für Neues
Bist du schon mal für längere Zeit gewandert? Wo war das und was waren deine besten Erfahrungen? Hast du noch andere Tipps und Empfehlungen? Dann hinterlasse uns unten einen Kommentar!
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