Die Haare auf dem Kopf: Sie sind fast immer sichtbar und damit ein wichtiger Teil unserer Persönlichkeit. Gut, dass sie gefärbt, geschnitten und stets verändert werden können. So können wir unsere Frisur ganz unserem persönlichen Geschmack anpassen. Wenn man der Haarpflege-Industrie glauben mag, dann sind der Gestaltungsfreiheit keine Grenzen gesetzt. Doch ein Problem scheint man selbst mit den teuersten Mitteln nicht in den Griff zu bekommen: Die Haare vieler Menschen werden schon nach kurzer Zeit fettig, strähnig und schreien so förmlich nach weiterer Pflege. Der Effekt von Shampoo, Spülung und Co. hält oft nur so kurz an, dass wir es gewöhnt sind, unsere Haare einige Male pro Woche mit speziellen Produkten zu waschen. Das kostet nicht nur Zeit, Energie und Geld, sondern belastet auch unnötig die Umwelt.
Mit der Überzeugung, dass es einen Weg geben muss, meine Haare einfach und effektiv zu umsorgen, ohne dass sie fettig und ungepflegt aussehen, habe ich eine geniale Lösung gefunden. Ich betrachte meine Haare seither auf eine ganz andere Art, lerne zu verstehen, was sie wann benötigen, und kann ihre natürliche Kraft spüren. Das wichtigste Prinzip ist es, die Haare keinen synthetischen Substanzen auszusetzen und sogar auf natürliche Haarpflegeprodukte zu verzichten. Lediglich Wasser und eine gute Bürste kommen mit den Haaren in Berührung und helfen so, das natürliche Gleichgewicht zwischen Kopfhaut, Talgproduktion und Haarlänge wieder herzustellen.
Meine Haare verstehen
Um die sogenannte Water-Only-Methode erfolgreich anzuwenden, fand ich es sehr hilfreich, erst einmal zu verstehen, warum unsere Kopfhaut überhaupt so viel Talg (bzw. Sebum) produziert. Das Ziel herkömmlicher Shampoos ist es ja meistens, den fettigen Ansatz zu entfernen und die Haarspitzen zu pflegen. Spannend ist, dass unser körpereigenes Sebum genau das kann: Es versorgt die Haare und insbesondere die Haarspitzen mit wertvollen Pflegestoffen. Schaffen wir es also, das Sebum in den Haaren zu verteilen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass nicht übermäßig viel davon produziert wird, erhalten wir die optimale Haarpflege.
Meine Umstellung auf No-Poo
Es gibt viele Methoden, um mit No-Poo zu beginnen. Ich habe die denkbar einfachste Methode angewendet und von einem Tag auf den anderen aufgehört, Shampoo und andere Produkte zu benutzen. Dabei habe ich darauf verzichtet, die Haare von eventuellen Shampoo-Rückständen zu reinigen, was von vielen No-Poo-Befürworter/innen empfohlen wird. Wenn man bereits lange Zeit ausschließlich ökologische Haarpflegeprodukte ohne Silikone benutzt hat, kann man auch sofort in das Haare-Waschen nur mit Wasser einsteigen.
Nach dem recht simplen Einstieg war ich erst einmal geschockt. Meine Haare sahen furchtbar aus. Sie klebten, waren fettig und die Kopfhaut schmerzte. Außerdem rochen sie seltsam süßlich. So hatte ich mir die natürliche Haarpflege gar nicht vorgestellt. Es war in dieser Zeit sehr wichtig für mich zu wissen, dass diese Umstellungsphase normal ist, dass die Haare und die Kopfhaut Zeit brauchen, um ihr natürliches Gleichgewicht zu finden und dass es sich lohnt durchzuhalten. Bei mir hat diese Phase fast drei Monate gedauert, bei anderen geht sie schneller und bei einigen brauchen die Haare noch länger, bis sie kräftig, gepflegt und schön aussehen.
Von einigen Freunden und Freundinnen weiß ich, dass es sehr auf den Haartyp ankommt, wie gut No-Poo vertragen wird. Gerade bei dünnem, feinem und fettigem Haare muss man sehr geduldig sein. Auch an den Geruch muss man sich erst einmal gewöhnen. Der recht strenge Anfangsgeruch verfliegt mit der Zeit. Wer sich davon gestört fühlt, kann zum Beispiel milde ätherische Öle benutzen und in Form von selbstgemachten Duftwässern auf den Haaren anwenden.
Wenn es irgendwie möglich ist, empfehle ich, mit No-Poo in einer Zeit zu beginnen, in der ein gepflegtes Äußeres nicht so wichtig ist. Ich habe in einem Sommerurlaub mit No-Poo begonnen und habe mich mit dieser Entscheidung sehr wohlgefühlt. Nach dem Urlaub habe ich auf Tricks wie Haarbänder, Hüte und Mützen zurückgegriffen, um den fettigen Ansatz zu verdecken. Viele Menschen brechen in dieser Zeit das Experiment wieder ab. Ich kann nur raten: Halte durch, denn das langfristige Ergebnis ist fantastisch.
Heute sind meine Haare glänzend, kräftig und weich. Meine natürlichen, leichten Locken sind zurückgekehrt. Ich muss die Haare nicht mehr jeden zweiten Tag, sondern maximal zweimal pro Woche waschen. Meine Spitzen sind so kräftig, dass die Haare nur zweimal im Jahr geschnitten werden müssen. Außerdem hat das Haare-Waschen nur mit Wasser weitere positive Konsequenzen. So spare ich viel Geld, was ich vorher in teures Öko-Shampoo und Frisörbesuche investiert habe. Ich schone die Umwelt, weil ich keine Shampoo-Plastik-Verpackungen benötige und die Gewässer nicht verschmutze. Und ich fühle mich unabhängig und frei, wenn ich jederzeit und überall meine Haare waschen kann, ohne an Shampoo & Co. denken zu müssen.
Haare ohne Shampoo richtig waschen
Die wichtigsten Bausteine der No-Poo-Methode sind sicherlich die Haarwäsche mit lauwarmem Wasser und das tägliche Bürsten der Haare über mehrere Minuten. So können Talg, Schmutz und lose Haare optimal entfernt und die Kopfhaut massiert werden. Aber auch über diese Basics hinaus gibt es einige hilfreiche Kniffe, die den Umstieg zu No-Poo und den Umgang mit No-Poo erleichtern:
Tipp 1: Die richtige Bürste und Bürstenpflege
Für mich ist meine Wildschweinborsten-Bürste das wichtigste Hilfsmittel, um meine Haare zu pflegen. Ich habe schon diverse andere Bürstenarten ausprobiert und komme mit Holzbürsten oder Sisalbürsten nie zu dem Ergebnis, das sich mit einer guten Wildschweinborsten-Bürste erzielen lässt. Bei der Wahl der Bürste sollte man sich gut informieren, weil es unterschiedliche Größen für die verschiedenen Haarlängen gibt. Da sich beim Bürsten der Haare sämtliche Schmutzpartikel und wachsartigen grauen Flusen in der Bürste sammeln, ist es unbedingt notwendig, die Bürste gut zu pflegen. Dazu gibt es spezielle Bürstenreinigungs-Sets (z.B. dieses ), die nach jedem Gebrauch der Bürste zum Einsatz kommen sollten. Ich reinige meine Bürste zusätzlich ungefähr alle zwei Monate mit Natron, Essig oder auch mit einem milden Shampoo. Oft hat man ja noch Shampoo aus der Zeit vor No-Poo übrig. Mit Seife funktioniert die Reinigung nicht. Grundsätzlich ist es wichtig, die Substanzen so gut wie möglich wieder aus der Bürste herauszuwaschen.
Tipp 2: No-Poo beim Frisörbesuch
Geht man zum Frisör, ist es üblich, dass die Haare vor dem eigentlichen Schnitt mit einem zwar professionellen, aber dennoch meist synthetischen Shampoo gewaschen werden. Ich habe noch keinen herkömmlichen Frisör kennengelernt, der sich mit No-Poo beschäftigt hat und das Prinzip versteht. So erntet man meist verständnislose und angeekelte Blicke. Schließlich gelten Haare gemeinhin als unsauber, wenn sie nicht mit Shampoo gewaschen werden.
Meiner Erfahrung nach gibt es hier drei Möglichkeiten. Entweder man sucht sich einen speziellen Naturfriseur und fragt schon zu Beginn, ob er No-Poo akzeptiert oder sogar kennt. Die zweite Möglichkeit ist das Vorschieben einer Shampoo-Allergie, sodass man zwar vielleicht trotzdem einem gewissen Ekel, aber wenigstens Wohlwollen und Verständnis begegnet. Die dritte Möglichkeit ist es, ein mildes ökologisches Shampoo selbst mitzubringen und sich damit die Haare waschen zu lassen. Nur weil man sich einmal die Haare mit Shampoo wäscht, ist nicht gleich das gesamte No-Poo-Experiment gescheitert!
Wenn du dir immer von der gleichen Person die Haare schneiden lässt und ihr euch gut versteht, dann wird die Frage nach dem Shampoo ohnehin spätestens beim zweiten Besuch erledigt sein. Besser noch, deine Frisörin oder dein Frisör kann das Ergebnis von Mal zu Mal bestaunen und wird vielleicht sogar selbst von der No-Poo-Methode angetan sein
Tipp 3: No-Poo im Schwimmbad
Beim Schwimmbadbesuch sind die Haare extremen Bedingungen ausgesetzt. Chemikalien im Wasser greifen die Haare an. Das Bedürfnis, die Haare nach dem Schwimmen mit einem kräftigen Shampoo zu reinigen, ist groß. Mir selbst reicht es in den meisten Fällen, die Haare nach einem Schwimmbadbesuch besonders gründlich mit Wasser abzubrausen. Allerdings wasche ich sie in den darauffolgenden Tagen öfter als sonst. So verfliegt der lästige Chlorgeruch meist schnell. Reichen diese Maßnahmen nicht aus, empfehle ich einen selbstgemachten Shampoo-Ersatz mit Natron, Lavaerde oder Roggenmehl. Für die Haare ist es natürlich das Beste, wenn du sie so wenig wie möglich solchen Umwelteinflüssen aussetzt.
Tipp 4: No-Poo bei langen Haaren
Bei langen Haaren zeigt sich der wohltuende Effekt der No-Poo-Methode besonders stark. Natürliche Wellen treten auf, die Haare werden dichter, kräftiger und schmiegen sich organisch an die Gesichtsform an. Je länger die Haare sind, umso wichtiger ist es, auf eine ausreichende Versorgung der Haarspitzen zu achten. Deshalb empfiehlt es sich, beim Bürsten von der Kopfhaut bis zu den untersten Spitzen entlang der Haare zu fahren. Für die Nacht mache ich mir gerne einen Flecht-Zopf, da die Haare so gut gegen die Reibung des Kopfkissens geschützt sind. Ein weiterer Tipp für No-Poo bei langen Haaren ist es, ausschließlich schonenden Haarschmuck zu benutzen, der möglichst ohne Metallteile auskommt. So kann die natürliche Pflege mit der No-Poo-Methode durch ein paar Tricks optimal ergänzt werden.
Tipp 5: Sei stolz auf deine Haarpflege-Methode!
Als ich angefangen habe, meine Haare nur mit Wasser zu waschen, habe ich mich geschämt, darüber zu reden und offen zu meinem Versuch zu stehen. Zu groß war die Angst vor angeekelten und verständnislosen Reaktionen. Schließlich entspricht diese Art der Haarpflege auf den ersten Blick so gar nicht den weitverbreiteten Hygienevorstellungen.
Mittlerweile erteile ich jedoch meist bereitwillig Auskunft über Vor- und Nachteile der No-Poo-Methode und erkläre, warum sich eine Umstellung lohnt. Zunächst einmal ist es natürlich einfacher, No-Poo gegenüber Anderen zu vertreten, wenn die eigenen Haare gut aussehen. In der Umstellungsphase würde ich deshalb erst einmal zurückhaltender Auskunft erteilen.
Das Wichtigste ist es, sich nicht von Normvorstellungen leiten zu lassen, die einem immer wieder begegnen werden. Mir hat es im Gespräch mit Anderen über meine ungewöhnliche Haarpflege-Methode immer sehr geholfen, Fragen zu stellen statt Antworten zu geben. Warum bevorzugen so viele Menschen die Haarwäsche mit Shampoo? Was bedeutet es denn überhaupt, einen fettigen Ansatz zu haben? Warum soll unser Körper bei der Haarpflege auf Hilfsmittel angewiesen sein, wo er doch sonst auch so vieles selbst reguliert? Meist sind diese Überlegungen eine wunderbare Einleitung in ein reflektierendes und spannendes Gespräch über Gewohnheiten der Körperpflege und ihren vermeintlichen Sinn. Viele meiner Freunde und Freundinnen haben mittlerweile auch mit No-Poo begonnen und tauschen sich rege über Talgproduktion, Haargefühl und Freiheitsgefühl aus.
Auch wenn es sich für mich sehr gut anfühlt, die Haare nur mit Wasser zu waschen, funktioniert diese Methode vielleicht nicht für jeden Menschen. Ich kann dennoch nur jede/n ermutigen, sich dem Experiment zu stellen und die mitunter herausfordernde Umstellungsphase durchzustehen. Dabei hilft es sehr, sich mit anderen No-Poo-Anwendern/innen auszutauschen. Wenn du Fragen und Tipps zum Thema hast, nutze doch die Kommentar-Funktion am Ende dieses Beitrags!
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